Erziehung oder Beziehung?

Kurzaufsatz zu Jesper Juuls „Beziehung statt Erziehung“

Die Hilfe im Erziehungsprozess anvertrauter Klienten durch Träger der Kinder- und Jugendhilfe ist das täglich Brot pädagogischer Fachkräfte. Die Erziehung an sich ist Bestandteil jeder Eltern-Kind-Beziehung. Was ist in der Kinder- und Jugendhilfe wirksamer: Erziehung oder Beziehung? Und funktioniert Beziehung überhaupt, wenn die Kinder ohnehin nicht hören und sich nicht benehmen können? Sie nicht gehorsam sind?

Folgen wir in diesem Kurzaufsatz der Darstellung von Jesper Juul und wagen einen Blick auf einen demokratischen, nähe-basierten Ansatz. Und bewerten zum Schluss, wie er uns in der pädagogischen Grundhaltung positiv beeinflusst.

Der dänische Familien-Therapeut Juul plädiert für einen grundlegenden Erziehungswandel und empfiehlt, für den Umgang der Eltern mit ihrem Kind eine von Demokratie geprägte Beziehung zu wagen.

Juul ist Verfechter von Autorität im Erziehungsprozess, die seiner Meinung nach im vorherrschenden, deutschen Erziehungsbild die Oberhand gewonnen hat. Autorität lebt von Belohnung und Bestrafung. Von den meisten Eltern ganz sicher nach bestem Wissen und Gewissen eingesetzt und ganz individuell in der Schwerpunktsetzung. Geleitet von Erlebnissen der eigenen Kindheit sowie Werten, Normen und Verpflichtungen. Wir tun alle unser Bestes! Aber auch das Richtige?

Juul plädiert für den Aufbau einer Nähe-Beziehung zu seinem Kind, für den diese fünf Attribute erforderlich sind: 
 
  • Gleichwürdigkeit,
  • Verantwortung,
  • Authentizität,
  • Integrität und
  • die Subjekt-Subjekt-Beziehung.

Die Anerkennung als gleichwertiger Partner sorgt für eine Abkehr von der autoritätsbezogenen Erziehung. Unter Verantwortlichkeit subsumiert er soziale und persönliche Verantwortung, wobei Letztere eine Verantwortlichkeit für das eigene Leben, sein Befinden, seine Entwicklung und Gesundheit beschreibt. Diesem Ansatz folgend gilt es für die Kinder, ihre eigene Verantwortlichkeit positiv zu fördern und herauszufordern.

Nur authentische und verlässliche Personen bauen Beziehung und Nähe auf. Sie spielen ihr Verhalten nicht und sind vertrauenswürdig. Wichtig hierbei ist, dass diese Personen nach einer inneren Führung leben.

Aber: Können das unsere Klienten? Oder anders gesagt: können wir das überhaupt von ihnen verlangen?

Für die Integrität sieht Juul Aspekte wie Identität, individuelle Bedürfnisse und das Bewusstsein für Grenzen an. Konflikte drohen, wenn das Verlangen des Kindes nicht mit dem des Elternteils korrespondiert.

Wie gehen unsere Klienten mit Identität, Bedürfnissen, Konflikten und Grenzen um? Wir dürften die Hypothese eines mangelhaften oder defizitären Umgangs damit in zahlreichen Fällen bejahen können. Ist beziehungsorientierter Umgang durch Nähe damit noch möglich oder nicht doch Autorität der passende Schlüssel zum Erfolg? Wann ist es gut, auch mal egoistisch zu sein und nicht zu kooperieren?

Als letzten Schwerpunkt seiner Theorie formuliert er, dass Eltern in ihrer Haltung eine Subjekt-Subjekt-Beziehung pflegen müssen, in der das Kind nicht als Gegenstand oder Objekt behandelt wird, sondern als Mensch.

Was ist gut für die jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe?

Was Kinder in einer wirksamen Beziehung benötigen, ist Begleitung und Führung – keine Bevormundung. Kindern fehlt es an Erfahrungen. Diese machen sie durch Begleitung und Führung der Erwachsenen. Wir bei Phönix sorgen für den schützenden Rahmen, in dem Kinder ihre Erfahrungen machen können. In dieser Begleitung ist das ehrliche Interesse am Leben des Kindes sowie der gute Dialog maßgebend. Wir dürfen nicht immer nur Fragen stellen, wir müssen auch zuhören!

Die Mischung macht‘s!

Das Denken in schwarz und weiß oder richtig und falsch ist insbesondere im Umgang von Menschen kein guter Ratgeber. Was wir brauchen, sind alternative Denkmuster und altersgemäße Methoden zur Beteiligung und Begleitung unserer jungen Menschen. Wir treffen Entscheidungen gemeinsam, der Kindesentwicklung angemessen und auf Augenhöhe!

Nähe, Distanz – und Ausdauer!

Beziehungsorientierte Nähe ist zweifellos wichtig, um einen vertrauensvollen und stabilen Zugang zu unseren Klienten zu bekommen. Sie hilft uns auch in Krisen. Gleichwohl müssen sich die Fachkräfte bewusstmachen, dass sie kein Elternersatz sind und in der Beziehungsarbeit oft mit schlechten Erfahrungen konfrontiert sind. Die Kinder kennen Werte wie Vertrauen, Zuneigung und Liebe oft nicht oder missverstehen sie aus früheren, negativen Erfahrungen. Bei Phönix leisten wir eine fundierte Beziehungsarbeit und erarbeiten uns das Vertrauen der anvertrauten Klienten – vor allem durch Bezugsbetreuung. Wir würdigen bisherige Lebensentwürfe und erkennen Ressourcen an! 

Was in 9, 12 oder 15 Jahren nicht entwickelt ist, entsteht weder ad hoc noch stringent. Das ist ein Prozess, der lange andauert und Rückschritte beinhaltet. Er erfordert Durchhaltevermögen – vom Klienten, den Eltern, der Fachkraft und den Ämtern.

Pädagogische Fachkräfte müssen sich fachlich distanzieren können. Das bedeutet nicht, dass sie die jungen Menschen im Hilfeprozess nicht beteiligen. Fachkräfte generieren aus ihrer fachlichen Sicht durch Beobachtungen und mittels Gesprächsführung Hypothesen und Entwicklungsberichte, erarbeiten Methoden zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit und Fertigkeiten der jungen Menschen.

Die Ergebnisse der fachlichen Beurteilung besprechen sie folglich widerspruchsfrei mit den Kindern und Jugendlichen – die gute Beziehung hilft ihnen dabei, den offenen Dialog zu führen. Gemeinsam mit allen Beteiligten werden passende Maßnahmen und Angebote ausgewählt.

Wir brauchen Nähe und Distanz – im Mix. Der Spagat dazwischen ist schwierig, aber machbar. Mit einer professionellen Grundhaltung.

Fazit

Der beziehungsorientierte Ansatz ist für Klienten der Kinder- und Jugendhilfe genauso wirksam, wie für alle anderen jungen Menschen auch. Wir müssen uns dafür sensibilisieren, dass Kommunikation, Vorbild, Werte und Normen entscheidend für den Aufbau einer tragfähigen Beziehung sind.

Der gelebten Grundhaltung bei Phönix Kinder- und Jugendhilfe entspricht es vollends, dass wir den Klienten mit gleichwürdigem (auf Augenhöhe), authentischem, integrem und verantwortungsvollem Umgang begegnen und sie so auf ihrer Entwicklungsreise zu einem eigenverantwortlichen, selbstwirksamen und stabilen Leben begleiten.

Jede Fachkraft widmet sich aufgrund ihres Aufgabenbereiches und ihrer Fachexpertise den jungen Menschen zu. Die Kinder und Jugendlichen werden stets dazu ermuntert, die Dialoge zu ihren Gunsten mitzugestalten und Impulse in die eigene Lebenspraxis umzusetzen.

Wir machen das bei Phönix so:

  • Wir arbeiten interdisziplinär und mit verschiedenen Methoden an zerrütteten Lebensverläufen.
  • Vertrauen braucht Zeit, die wir uns nehmen.
  • Angebote werden moderiert und intensiv begleitet.
  • Ressourcen werden gefördert, erlebbar gemacht und ausgebaut.
  • Neues Verhalten wird eingeübt.
  • Erfahrungen werden im Dialog auf Augenhöhe und nicht frontalpädagogisch vermittelt.

MS

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