SINUS-Lebenswelten -
Wie ticken Jugendliche?
(Calmbach, Borgstedt, Borchard, Thomas & Flaig, Wie ticken Jugendliche 2016?, 2016, Springer)
Kurzaufsatz zu prekären Jugendlichen anhand der SINUS – Lebenswelten
Kinder- und Jugendhilfe widmet sich zuvorderst der Förderung, dem Schutz, der Erziehung und Bildung sowie der Integration von Kindern und Jugendlichen. Die sozialpädagogischen Angebote der Heimerziehung und die Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§§ 34,35 SGB VIII) wendet sich dabei unter anderem denjenigen jungen Menschen zu, die gemeinhin als besonders auffällig bezeichnet werden können.
In diesem Kurzaufsatz wird anhand einer der sieben Lebenswelten aus der Studie „Wie ticken Jugendliche 2016?“ (SINUS Institut) skizziert, wie Bildung, normative Grundorientierung und der Anspruch an „gute“ Beziehung dieser schwierigen Klientel beurteilt werden kann.
Gewalt und Drogen, kein Bock auf Lernen, hohe Erwartungshaltungen an andere. Anhand des Lebensweltenmodells lassen sich „prekäre“ Jugendliche u.a. durch solche Attribute charakterisieren.
Ihnen wird gern die Schublade „besonders auffällig“ oder „die keiner mehr haben will“ zugeordnet. Ihr Bildungshintergrund ist zumeist niedrig. Ihre normativen Werte sind traditionell-modern und durch Attribute wie Sicherheit & Orientierung und Haben & Zeigen bestimmt. Sie sind um Teilhabe bemüht und besitzen schwierige Startvoraussetzungen. Gesamtheitlich machen die prekären Jugendlichen einen Anteil von 5% unter den 14-19-Jährigen aus.
Wie ticken prekäre Jugendliche?
Durch früh erlebte Beziehungsbrüche, Schulverweise und psychische Krankheitsbilder sind die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben denkbar ungünstig. Hinzu kommt die dominierende Angst vor dem Ausschluss an Teilhabe in der Gesellschaft, die sich die Jugendlichen durch Gewalt, Drogenkonsum oder Kriminalität genauso verbauen, wie durch schlechte Schulleistungen und die Gefahr eines erfolgreichen Schulabschlusses der Anschluss an eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit oft verwehrt wird.
Interessanterweise nimmt Familie eine zentrale Rolle im Leben prekärer Jugendlicher ein. Ihre idealisierte Vorstellung einer harmonischen eigenen Familie mit Kindern und eigenem Zuhause bestimmt ihre Zukunft. Konterkariert wird diese Vorstellung oft durch den Drang, nicht weiter aufzufallen und alle (negativen) Dinge der Peergroup zu imitieren. Gepaart mit nicht selten ausgeprägtem rechtspopulistischem Gedankengut entsteht hier ein Wertekanon, der die nicht erlebte Gerechtigkeit und Fairness der Gesellschaft kompensiert. Ohnehin ist die Peergroup die zentrale Anlaufstelle, sich Anerkennung zu holen, die ihnen durch ihr Ausgrenzungsempfinden von allen anderen verwehrt wird. In dieser Gruppe stellt man etwas dar, man ist stärker als allein und kann sich auf der Straße durchsetzen.
In die Zukunft schauend, sind prekäre Jugendliche oft orientierungslos und lediglich mit vagen Vorstellungen beruflicher Möglichkeiten vertraut. Erstaunlich, wenn viele von ihnen Arzt, Anwalt oder Superstar werden wollen, aber keinen Schimmer davon haben, wie eine Ausbildung hinzu einer Approbation oder einem Staatsexamen verläuft. Ihnen geht es hierbei nicht um das Wissen, sondern um Geld und Prestige in der Gesellschaft. Ihr Pessimismus im Erarbeiten einer Perspektive und der Traum von großem Geld und Prestige zeigen das Dilemma, in dem sich die Jugendlichen befinden. Was ihnen fehlt, ist realitätsnähe. Nicht umsonst geben ihnen massenmedial aufbereitete, realitäts- und vor allem alltagsferne Repräsentationen von Fußballstars, Anwälten, Polizisten und Ärzten scheinbar Orientierung, die sie adaptieren und zu ihrem Vorbild aufwachsen lassen.
Das Dilemma setzt sich in der Bildung fort: Obwohl ihnen bewusst ist, dass Bildungserfolge und sozialer Aufstieg gekoppelt sind, erliegen sie doch der Spiegelung ihres älteren Freundeskreises, dass es trotz guter Abschlüsse und Bildung keineswegs zu aussichtsreichen Jobs kommen muss. Wieder macht sich Resignation und Verunsicherung breit – warum das Ganze dann eigentlich durchziehen? In der freien Zeit nach der Schule wird daher auch oft nur das gemacht, was die Versetzung nicht gefährdet.
Beziehungserwartung
Wie allen anderen Jugendlichen ist auch den Prekären Vertrauen, Ehrlichkeit, Verständnis, Humor und Verlässlichkeit wichtig. Auffällig ist jedoch der ungleich frühere Drang danach, sich gegengeschlechtlich einer Beziehung hinzugeben. Durch sie wird romantisch-idealisiert die Art an Stabilität empfunden, die sowohl in der Familie als auch nicht völlig zuverlässig in der Peergroup erlebt wird. Mangelnder Halt führt zu früher Bindung, bei dem sich Mädchen Schutz und Kompensation zu früheren Verletzungen wünschen und sich Jungen eine Rolle zuschreiben, bei der sie etwas zu sagen haben und die Beziehung möglichst sehr offiziell machen wollen.
Wo prekäre Jugendliche schnellen Erfolg sehen können, ist bei der Gründung einer Familie. Hier kommt es nicht darauf an, ob man gebildet ist oder nicht. Hier versprechen sie sich Aussicht auf Erfolge und den anderen auch einmal voraus zu sein.
Unsere Einschätzung
Phönix Kinder- und Jugendhilfe versteht sich als interdisziplinär agierender Begleiter, der insbesondere den prekären Jugendlichen feste Bindungsstrukturen, tragfähige Beziehungen und ein stabiles Umfeld anbietet. Den vielen Anzeichen, die für ein Verharren dieser jungen Menschen in ihrer Peer hindeuten, begegnen wir mit u.a. pädagogischen Angeboten, bei denen Sprache, Verlässlichkeit, aber auch Sport, Bewegung und besondere Erlebnisse Anerkennung geben, den Charakter stärken, Ressourcen freisetzen, unmittelbare Erfolgserlebnisse schaffen und eigene Grenzen überwinden.
Auch wir haben eine Peergroup. In dieser sind Werte wie Fairness, Gerechtigkeit, Mitbestimmung, Teilhabe und Bindung tragend. Wir geben Halt und Stabilität durch Kontinuität, transparente und nachhaltige Angebote und ehrliche Kommunikation. Wir begleiten die uns anvertrauten jungen Menschen solange, bis sie uns nicht mehr bei sich brauchen.
Aus diesem Grund: Phönix – Selbst. Wirksam. Werden.
MS
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